Ein Sturm zieht auf

Brain'n'Dead
5 min readAug 24, 2023

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In den letzten Monaten habe ich einige Beobachtungen gemacht, die mein (Metaller-)Herz haben höher schlagen und einen klaren Schluss zulassen: Metal wird (wieder) relevanter und wird für viele Unternehmen und Künstler ein Schlüssel zum Erfolg.

Meine Beobachtungen lassen sich gliedern in (szene-)interne und externe Faktoren sowie endogene und exogene Entwicklungen.

EXTERNE FAKTOREN

  • Globale Krisen
    Diese Krisen haben nationale und regionale Auswirkungen. Kalter Krieg, Umweltkatastrophe, Rechtsruck — das kennen wir bereits aus den Achtzigern. Schon damals sorgten diese beängstigenden Entwicklungen für eine Hochphase des Metal. Musiker und Fans hatten das Bedürfnis, sich mit diesen intensiven Emotionen auseinanderzusetzen. Die neue Generation hat dieses Bedürfnis jetzt wieder, wie man unter anderem an dem Sampler „Nation of the unconquered“ sehen kann.
  • Tribalismus
    Das „Generationen“-Modell mit Gen X, Y und Z hat ausgedient. Gesellschaftliche Gruppen lassen sich damit kaum noch treffend beschreiben. Tribalistische Tendenzen in der Gesellschaft lassen sich überall beobachten.
    Individuelle Identität wird nicht mehr über die große, globale Gruppe, sondern den Sonderinteressen-Stamm definiert und abgegrenzt.
    Die Metalculture ist kein großer Stamm, aber sie bildet eine Menge Tribes ab.
  • Transformationen des Musik- und Live-Business
    Live-Veranstaltungen waren während der Pandemie unmöglich. Und sie gestalten sich immer komplizierter. Veranstalter brauchen stärkere Argumente als früher, um ein Publikum zu aktivieren, dass es sich in den eigenen vier Wänden gemütlich gemacht hat.
    Und auch der Musikmarkt ist stetigen Wandlungen unterworfen. Streaming-Dienste und die Notwendigkeit, neue Verdienstquellen zu erschließen, stellen große und kleine Player vor eine Menge Herausforderungen.
    Metalheads lieben Live-Musik nicht nur. Metalculture kann ohne Live-Konzerte nicht existieren, da das multisensorische Erlebnis und das Abgleichen mit der sozialen Gruppe grundlegend sind.

INTERNE FAKTOREN

  • Regelmäßige Transgression
    Über die Jahrzehnte konnten wir immer wieder beobachten, wie der Mainstream den Metal immer mehr akzeptiert hat. Aber mit jeder neuen Welle der Akzeptanz kam eine neue Transgression — ein Überschreiten von Grenzen. In den Neunzigern zündeten skandinavische Black Metaller Kirchen an und brachten sich gegenseitig um die Ecke. Und schon war man wieder mehr „Outsider“, bevor neue Insider kommen konnten.
    Mit Transgression geht — vor allem im Metal — aber auch immer eine Weiterentwicklung der Kreativität einher. Wer eine Grenze als erste oder erster überschreitet, nimmt nach einer anderen Definition eine bedeutende Rolle für die Kultur ein: Die Avantgarde.
  • Expansion & Evolution der Szene
    Metal ist längst ein globales Phänomen. Doch wie wichtig diese Gegenkultur in der Entwicklung von Revolutionen und sozialen Umbrüchen in nicht-westlichen Ländern ist, wird bisher kaum beachtet.
    Die Hörerschaft steigt überall auf der Welt und trotzdem bleibt die chronologisch-kanonische Erschließung erhalten. Erst die Klassiker kennenlernen und hören und dann auf zu neuen Ufern. So haben wir alle denselben Startpunkt, aber nicht den gleichen Horizont.
  • Genre-Fluidity
    Wie Nik Nocturnal in einem bemerkenswerten Kurzabriss zum State of Modern Metal wunderbar ausgeführt hat, gibt es im Metal in letzter Zeit eine ziemlich starke „Genre Fluidity“. Ed Sheeran arbeitet an einem Song mit Cradle of Filth, Lady Gaga stand mit Metallica auf der Bühne und was alles im Core- und Nu-Metal-Bereich passiert, ist kaum überzubewerten. Diese starke Auseinandersetzung mit anderen Musikrichtungen und die gegenseitige Beeinflussung waren noch nie so stark wie heute.
  • Untrennbare Verbundenheit mit Live-Experiences
    Die Zugehörigkeit zur Szene und Selbst-Identifikation hängen in der Metalculture sehr eng mit live experiences zusammen. Konzert- oder Festival-Besuche sind quasi-religiöse Erfahrungen, die multisensorische Eindrücke hinterlassen und enorm prägend für das Selbstbild und jegliche Empfindung zur Subkultur sind. Es gibt keine andere musikalische Subkultur, die musikalische Erlebnisse live und in der Gruppe so sehr braucht, wie der Metal. Dieses Pfund, mit dem man wuchern kann, wird früher oder später auch die breitere Masse der Veranstalter und Venues begreifen.
  • Ökonomische Unabhängigkeit
    Ganz ohne Geld geht es auch im Metal nicht. Aber durch grundlegend andere Narrative ist der Anspruch an Verdienst durch Kunst ein ganz anderer. HipHop kennt das Aufstiegsnarrativ: Künstler startet „from the bottom“ und schafft es nach oben und verdient damit eine Menge Ruhm und vor allem Geld.
    Das gibt es im Metal nicht. Wer Musik macht, richtet sich im besten Fall darauf ein, dass es ein teures Hobby wird oder im schlechtesten Fall, dass man ein entbehrungsreiches Leben auf Tour führt. Der Traum ist kein Haufen Geld, sondern ein Haufen Musik und Live-Auftritte. Eine der Ikonen der Szene, Lemmy Kilmister, hat bis zu seinem Tod in einem kleinen Einzimmer-Apartment gelebt.
    Und wenn eine Subkultur auch Jahrzehnte nach ihrem Beginn noch so unabhängig von finanziellen Zuwendungen sein kann, dann wird sie länger überleben als andere.

ENDOGENE ENTWICKLUNGEN

  • Web 2.0 als Reformation der DIY Bewegung
    Die Metalculture wurde vor allem durch eine Leidenschaft für Do-it-yourself groß. Tapetrading machte Metallica berühmt, (selbstgemachte) Fanzines bildeten das kommunikative Geflecht, das Metalheads global miteinander verband, ohne die Anonymität der Globalisierung akzeptieren zu müssen. Und Konzerte, Festivals sowie Labels wurden in der „guten alten Zeit“ fast immer von Fans selbst organisiert. Das alles wurde irgendwann „professionalisiert“ (sprich: in die Hände von ökonomisch interessierteren Personen übergeben).
    Durch die Möglichkeiten des Web 2.0 erfahren wir aber in den letzten Jahren wieder einen starken Aufwind des DIY-Ansatzes. Streaming-Möglichkeiten, Selfmade-Plattformen wie Tunecore, readymade Blog-Systeme, Newsletter, Foren, … Lauter Wiedergänger der alten Ansätze, die eine Re-Demokratisierung der Szene ermöglicht haben. Und damit für neue/alte Höhenflüge sorgen.
  • Streaming-Zahlen
    Der einfachste Faktor, der meine These stützt. Metal-Subgenres haben in den letzten Jahren und Monaten einen, teilweise enormen, Zuwachs erfahren, wenn man die Streaming-Zahlen verschiedener Plattformen auswertet. Tunecore, Spotify und andere zeigen in ihren regelmäßigen Auswertungen das, was „gefühlt“ schon lange als Wahrheit gilt.

EXOGENE ENTWICKLUNGEN

  • Sichtbarkeit im jungen Mainstream (TikTok etc.)
    Metal Challenges, Metal Memes, Künstler-Profile und -Tutorials, … gerade auf TikTok passieren in den letzten Monaten jede Menge Dinge, die mit Metal zu tun hat. Und das ist auch kein Wunder: Eingängige Riffs, starke Visualität — Metal ist hervorragend geeignet für neue Plattformen. Und das begreifen die Content Creator unserer Zeit und nutzen es entsprechend.
  • Anerkennung durch Künstler wie Demi Lovato
    Nicht nur Demi Lovato, sondern auch Post Malone, Lil Uzi Vert oder Billie Eilish zollen ihren Respekt. In Interviews, Podcasts und anderen Formaten reden sie darüber, wie wichtig der Metal für sie ist und wie viel Potentiale sie selbst darin sehen. Quasi ein Mainstream-Ritterschlag. Bleiben wir mal gespannt, ob das für eine erneute Transgression sorgen wird.

Das weird kid unter den Musikgenres hat es nie leicht gehabt in der öffentlichen Wahrnehmung. Daran sind aber nicht nur „die Medien“ und besorgte Eltern, Priester und Konservative schuld, sondern auch wir Metalheads selbst. Ein wichtiger Teil unseres Selbstbilds basiert darauf, dass wir für „die anderen“ Outsider und „für unsere Leute“ Insider sind.

Was der kommende Sturm bringen wird und wie man davon profitiert, erzählen wir euch gern persönlich in unserer Keynote.
Ihr könnt natürlich auch erstmal unseren neuen Newsletter abonnieren und einiges über die Metalszene erfahren.

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Kommunikations- und Werbeagentur

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