Mein bester Freund, unsere Agentur und ich
Autor: Constantin Hochwald
Zwischen den Jahren ist immer eine komische Zeit. Man weiß nicht, welcher Tag gerade ist, man hat viel Tagesfreizeit und weiß nicht so richtig, wohin mit sich. Unter anderem deswegen beschlossen mein bester Freund und ich, dass wir jeder einen eigenen Text schreiben. Über uns, über die Agentur, die wir gerade gegründet hatten. Sehr viel mehr Vorgaben hatten wir nicht. Beim Schreiben kam ich nicht so recht voran. Sascha — Mitgründer, bester Freund und cooler Typ — meinte, „Schreib’s so auf, wie du es jemandem in der Kneipe erzählen würdest, der dich danach fragt.“ Aus diesem Gedanken ist dieser Text entstanden.
Wir miteinander
Es lief immer auf Brain’n’Dead hinaus. Alles was ich ausleben will, ausprobieren will, anders machen will. Alles von dem ich weiß, dass es mir gut tun wird. Dass es mich ausgeglichener und glücklicher macht und mir viel Angst nimmt. Das sind die Dinge, die Brain’n’Dead für mich und für uns sein werden.
Das würde schon völlig reichen, um es voller Überzeugung zu machen. Aber das ist nur — und das ist eigentlich schon wieder viel zu offensichtlich ein Teil unseres Narrativs — ein überraschender und sehr willkommener Nebeneffekt. Ich kann und ich werde nicht angemessen über unsere Motivationen schreiben können. Jetzt noch nicht. Aber ich kann beschreiben, wie es sein wird. Denn wenn es nicht so ist, dann ist es das nicht und wir machen etwas anderes.
Mit einem anderen Menschen befreundet sein, bevor man in der gleichen Branche arbeitet ist ungewöhnlich. Es so lange zu bleiben, noch viel mehr. Wir sind über all die Jahre nicht nur befreundet sondern auch klar abgegrenzte Individuen geblieben. Und doch ticken wir so nah beieinander, dass wir jetzt das tun, was wir schon immer tun. Nur dass jetzt die Konsequenz ist, die Agentur zu gründen.
So lange haben wir darüber nachgedacht, wie wir eines Tages mit Mitarbeitern und Angestellten umgehen. Seit etwa zehn Jahren. Als wir damit anfingen, war das Angestellten-Dasein unsere aktuelle Perspektive. Und wir gaben uns Mühe, die richtigen Schlüsse zu ziehen. Jetzt ist uns klar, dass Brain’n’Dead bedeutet, dass wir mit den anderen einfach so umgehen müssen wie wir es miteinander tun.
Respekt, Empathie, Vertrauen. Das können wir auch allen anderen entgegenbringen. Aber dieses bestimmte Stück Unbestimmtheit — pathetisch könnte man auch Wahnsinn dazu sagen, machen wir aber nicht — können immer nur wir haben. „Muss man dabei gewesen sein.“ könnte man sagen.
Woher das kommt.
Es verschiebt und verändert sich so viel. Es entstehen so viele Potentiale, Variationen in unseren Leben. Doch an jedem neuen Entscheidungspunkt blicken wir zurück und nach vorn und kommen uns vor, wie die überzeichneten Protagonisten einer vorbestimmten Storyline. Kaum etwas sieht da nach Zufall aus. Alles passt, alles fühlt sich richtig an.
Das müssen wir weitergeben. Dafür machen wir das alles nicht, aber dieses Weitergeben wird einen starken Einfluss auf unseren zukünftigen Erfolg haben. Wenn wir es schaffen, die Menschen, die wir uns zuordnen, so fühlen zu lassen — dass sie so intensiv die Protagonistenrolle in ihrem Leben spüren und vielleicht sogar einnehmen — dann haben wir nicht nur ein Gefühl vermittelt. Dann haben wir jemandem ausführlich vermitteln können, warum und wie wir das alles machen und machen werden.
Wir beide haben auf unterschiedliche Art erfahren, wie es sich anfühlt und welche Konsequenzen es hat, wenn man in dem falschen Lebensentwurf oder -phase feststeckt. Wir haben zur gleichen Zeit erfahren, dass es möglich ist, durchzuhalten und auszuhalten. Brain und Dead sind so unterschiedlich wie sie gleich sind. Sie sind keine exakten Gegenpole der gleichen Skala. Sie sind auch nicht Yin und Yang oder Ronald und Reginald Kray.
Brain und Dead schwingen irgendwie auf andere Art und Weise miteinander. Von uns beiden bin ich der, der das mit den Worten und Ideen macht. Brain. So sehr ich Worte und Sprache liebe, verehre und als annähernd vollkommen ansehe, es reicht nicht aus für die Beschreibung dieser Freundschaft.
Und gerade die Tatsache, dass ich den elementaren Teil unserer persönlichen Beziehung und unserer beruflichen Harmonie nicht annähernd benennen oder beschreiben kann, sollte für mich eigentlich sehr unbefriedigend sein. Ist es nicht. Stattdessen ist es für mich der immer gültige Beweis, dass wir das Richtige tun. Dieser Teil in meinem Kopf, der nichts erklären oder beschreiben kann, ist der Teil, dem ich in dieser Hinsicht absolut vertraue. Wenige Dinge in meinem Leben konnte ich mit so einer Überzeugung angehen, wie das (vermutlich für uns beide Lebenswerk) Brain’n’Dead.
Das Beste daran klingt nach Allgemeinplatz: Dieses Projekt wäre ohne den jeweils anderen nicht nur nicht möglich, sondern auch nicht denkbar. Vielleicht hätten wir uns unter anderen Umständen auch einzeln selbständig gemacht oder etwas in dieser Hinsicht begonnen. Aber die Erkenntnisse & Erfahrungen, die uns als Agentur ausmachen werden, sind immer gemeinsam entstanden. Entweder durch gemeinsames Erleben oder durch das Erzählen selbst. Der eine erlebt und erzählt auf seine Art, der andere hört zu, antwortet und fühlt im wahrsten Sinne des Wortes mit. Oder beide erleben, erfahren und müssen manchmal kein Wort wechseln, um es im gemeinsamen Koordinatensystem verortet zu haben.
Woher diese Sicherheit kommt
Noch nie in meinem Leben — inzwischen bin ich dreiunddreißig Jahre alt — habe ich einer so unbestimmten und schwer vorhersehbaren Situation wie dieser Gründung so voller Vorfreude entgegengesehen.
Ich weiß, dass es Sascha ähnlich geht. Aber ich weiß auch, dass meine Sicht und meine Ableitungen daraus sehr anders sind, auch wenn es sich ähnlich für uns beide anfühlt. Diese positive Einstellung bei etwas so neuem, schwer einzuschätzendem, kenne ich ja eigentlich sehr gut. Nur findet die sonst in einem anderen Kontext statt.
Jede meiner kreativen Ideen oder meine Förderung einer solchen Idee von jemand anderem, auf die ich stolz bin und von denen ich immer mal wieder erzähle, um meine Grundsätze zu verdeutlichen; bei jeder dieser Ideen oder der Förderung anderer habe ich genau das gleiche Gefühl. Absolut sicher, dass es richtig ist. Ohne auf Anhieb erklären zu können, warum das richtig ist.
Ich weiß, dass das nicht nur Bauchgefühl ist, sondern häufig eine Menge an Informationen und mein Umgang mit ihnen. Und dass diese Verknüpfungen oft unterbewusst stattfinden, ist ebenfalls keine Neuigkeit.
Doch immer war da ein weiterer Funke dabei. Denn während der letzten zehn Jahre ist es sehr oft passiert, dass ich erklären musste, warum eine Idee eben auch DIE IDEE ist. Und häufig konnte ich das auch nicht nach langem Nachdenken. Die absolute Sicherheit über mein Urteilsvermögen hat das nicht geschmälert. Mir wurde klar, dass mein Gefühl und meine Wahl immer auf den richtigen Informationen basierten. Auch wenn ich sie noch nicht alle kannte.
Diese Annahme und diese Vorgehensweise sind das Einzige, was ich vorweisen kann, um meinen und damit auch unseren Preis zu rechtfertigen. Und die Beweise aus den letzten zehn Jahren für das Funktionieren in der Praxis.
Klingt ein bisschen nach Marktschreier, der Zauber-Elixir verkauft. Aber eigentlich ist es gar nicht so schwer, mir an diesem Punkt als Kunde zu vertrauen. Denn aufgrund dieses Gefühls, das mich dahin gebracht hat wo ich gelandet bin und mir die Erfolge des letzten Jahrzehnts beschert hat, gründe ich mit diesem Mann eine Agentur.
Sicherlich kann man eine Menge stichhaltige Gründe aufzählen, die aus ökonomischer, psychosozialer oder anderer Sicht, eine tolle Begründung darstellen. Das ist auch wieder nur nett und wieder nur der Nebeneffekt. Der Nebeneffekt davon, dass ich schon weiß, dass es das Richtige ist. Ohne einen einzigen Grund dafür formulieren zu müssen und damit trotzdem nicht auf die Fresse zu fliegen.
Mir ist schon klar, dass das als Sales Pitch für uns nicht so ganz tauglich ist. „Vertrauen sie uns, weil sie uns vertrauen können, weil wir einander vertrauen!“ Naja, gut.
Deswegen können wir nur genau das anbieten, was unser Arbeiten so bestimmt: Lern uns kennen und stell dir folgende Frage:
Wenn die auch nur halb so viel Spaß haben wollen, wie sie behaupten, wie viel Spaß hab ich dann dabei?
Dafür machen wir das. Nicht für „immer nur Fun, Fun, Fun“. Wir machen das, um Projekte zu haben, denen wir genau so viel Positives abgewinnen können, dass es unser Leben wenigstens einen Deut besser macht. Würden wir alles nämlich sonst nicht machen.
Wir waren nicht gerade in Not, als wir den finalen Schritt zur Gründung gegangen sind. Gute Gehälter, nette Rücklagen, erträgliches Arbeitsumfeld und (wieder jeder auf seine Art) ein unterhaltsames Maß an Narrenfreiheit in unseren Positionen. Nicht gerade eine Situation, in der man einen Leidensdruck verspürt. Selbst wenn wir wieder etwas tiefer dort einsteigen müssten, ist das keine schlechte Perspektive.
Also erwarte nicht von uns, dass wir mehr Kompromisse machen als irgend notwendig. Müssen wir nämlich nicht. Dann können wir’s auch einfach wieder lassen und uns freuen, dass wir eine lustige Geschichte erzählen können, wenn wir zurück ins Angestellten-Dasein wechseln.
Auch wenn es bisher vielleicht so rüberkam, damit ist nicht einmal annähernd unsere Motivation erklärt.
Und warum jetzt?
Fragt sich ja eigentlich nur noch, warum wir das ausgerechnet jetzt tun. Klar, wir sind irgendwie im richtigen Alter und in den mehr oder weniger richtigen Lebensphasen dafür, wenn man so ein Schema anlegen will. Aber warum machen wir das, wenn es doch in zwei oder drei Jahren mit eventuell sogar noch besseren Startbedingungen hätte losgehen können?
Warum mach das vor allem ich? Wo ich doch sonst überhaupt kein Freund von solchen Veränderungen in meinem Leben bin und sie früher oft gemieden habe und jetzt zumindest noch auf intensivste Weise auf ihren Nutzen überprüfe, bevor ich überhaupt irgendwelche Schritte unternehme?
Warum warten diese beiden Typen nicht, bis die Branche wieder in Richtung Umsatzplus unterwegs ist? Oder bis sie einen Etat-Kunden haben, den sie mitnehmen können oder schnell sicher haben?
Weil es ziemlich egal ist. Das, was wir vorhaben, muss diesen Realitäts-Test unter erschwerten Bedingungen bestehen können. Und es ist für unsere beiden Persönlichkeiten besser, jetzt zu starten und eventuell einen komplizierteren Einstieg zu haben, als darauf zu warten und es vielleicht etwas leichter zu haben.
Das Warten wäre für uns anstrengender als jeder Aufwand, den wir durch die „schwierigen Umstände“ haben. Denn bei jeder Gelegenheit der letzten Jahre, bei der uns klar wurde, dass wir nur noch auf diesen Moment warten, hatten wir den gleichen Gedanken. Noch nicht immer so ausformuliert, aber im Gefühl die selbe Botschaft: We all gonna fucking die.
Es gibt ein lateinisches Sprichwort, dass man in etwa mit „Der Tod / Das Ende mahnt zur Tat.“ übersetzen kann. Bedeutet für mich das selbe wie „We all gonna fucking die.“ Damit meine ich nicht mal die eine Bedeutung, dass unser Leben eines Tages endet und wir da meistens das bereuen, was wir eben nicht getan haben. Natürlich machen wir das auch mit der minimalen Angst, dass die Chance sonst eines Tages nicht mehr da ist.
Aber „We all gonna fucking die“ bedeutet vor allem, dass es Dinge in unserem Leben gibt, die unausweichlich sind und die wir nicht beeinflussen können. Und die Konsequenz daraus ist, dass wir die Dinge, die wir beeinflussen können, auch beeinflussen sollten.